Wien. Hofburg, am 18. Dezember 1744. Maria Theresia erlässt, kurz vor der Geburt ihres 7. Kindes, einen Befehl, der wie ein Donner im Habsburgerreich einschlägt und in ganz Europa seinen Widerhall findet. Alle Juden Prags sollen die Stadt verlassen.
Nach Jahrhunderten der antijüdischen Verfolgung im christlichen Europa ist Maria Theresias Befehl der letzte durch einen Herrscher verordnete Terrorakt gegen Juden im Alten Europa vor dem Holocaust. Es ist der politische Amoklauf einer absolutistisch regierenden Herrscherin, die beratungsresistent und gegen den Geist der Aufklärung unsinniges Leid über Menschen in ihrer Machtsphäre bringt. Es ist die dunkle, unbekannte Seite der später als Mutter ihrer Völker gefeierten Monarchin. Doch was macht sie zu einer derart prononcierten Judenhasserin?
Schon ihr Vater Karl VI. wollte die böhmischen Juden dezimieren und ihr Großvater Leopold I. ist durch die Vertreibung der Juden aus dem Unteren Werd 1670 in die Geschichte Wiens eingegangen. Und das, obwohl die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs eigentlich als Schutzherrn der Juden zu agieren hätten. Doch die strenggläubige Maria Theresia hält Juden schlichtweg für die Mörder Christi. Dieses alte Stereotyp wirkt umso mächtiger, als sie selbst kaum jüdische Menschen zu Gesicht bekommt. Einzig ihren Hofjuden Diego Aguilar, der für die Finanzierung Schönbrunns aufkommen muss, empfängt sie. In Wien und im Herzogtum Österreich gibt es hingegen, ganz anders als in Böhmen oder Ungarn oder später dann in Galizien, keine jüdischen Gemeinden.
Ein Countdown beginnt, ein Kampf, in dem sich halb Europa für die jüdischen Stadtbewohner Prags einsetzt. Kuriere mit Briefen hetzen in die Zentren der damaligen Welt und von dort nach Wien. Fieberhafte Geheimgespräche mit den Hofjuden Europas finden statt, über Jahrhunderte entstandene Allianzen sollen sich jetzt auszahlen. In atemberaubend kurzer Zeit ist die Kampagne organisiert und die Vertreibungsgegner sorgen in Wien für Trubel.
Protestschreiben der dänischen und italienischen Höfe gehen bei Maria Theresia ein. Der Vertreter Englands in Wien, dessen König von einem „entsetzlichen Urteil über so viele tausende von unschuldigen Familien“ spricht, verlangt eine Audienz, ebenso der holländische Botschafter. Ja sogar der Papst schickt ein Schreiben nach Wien und der Sultan in Konstantinopel, durch Diego Aguilar mit der Causa befasst, reagiert entsetzt. Doch Maria Theresia lässt sich nicht umstimmen.
In Prag soll nun Graf Philipp Kolowrat die Vertreibung in die Wege leiten, doch auch er ist gegen den Befehl. Also gibt er Passierscheine an die Juden aus, damit sie ihren Geschäften in Prag weiter nachgehen können. Über 200 Kranke, Alte und Schwangere dürfen sogar im Ghetto bleiben. Das führt dazu, dass im Verlauf des Jahres 1745 immer mehr Familien unter den untätigen Augen der Ausweisungskommission zurück in die Prager Judenstadt ziehen. Und die Berichte an die Kaiserin zur Lage der Juden in Prag werden nicht zugestellt, sodass Maria Theresia erst im Juni 1746 von der Situation erfährt.
In einem Wutanfall enthebt sie Kolowrat seines Amtes und lässt die Juden durch das Militär endgültig aus der Stadt vertreiben. Eine Tragödie mit vielen Gesichtern. Das Prager Ghetto liegt verwüstet und leer, einst war diese „einzige Tochter ihrer Mutter Jerusalem“ ein blühender Mittelpunkt jüdischen Lebens in Europa.
Doch schon im Verlauf des Jahres 1747 wird der durch die Vertreibung der Juden ausgelöste wirtschaftliche Schaden in Böhmen und Prag spürbar. Als Maria Theresia von den böhmischen Landständen höhere Steuern verlangt, verweigern diese die Zahlung, es sei denn die Juden kehren zurück.
Und so muss Maria Theresia schon zwei Jahre nach der endgültigen Vertreibung der Juden aus Prag den Befehl widerrufen. Sie kehren am 14. August 1748 mit ihren Familien in die zerstörte Judenstadt zurück und bauen sie gemeinsam mit den Christen wieder auf.
Als Joseph II nach Maria Theresias Tod 1780 zum Alleinregenten des Habsburgerreichs wird, beginnt 1782 mit den Toleranzpatenten der lange Weg zur gesellschaftlichen Emanzipation und zum Aufstieg der Juden. 100 Jahre später sind sie die tonangebende Gesellschaftsschicht des Fin de Siècle Wien. Doch aus dem Antijudaismus des vormodernen Europas wird schließlich der rassistisch motivierte Antisemitismus, der in den Holocaust führen wird.
Ein Film von Monika Czernin.
Credits
Maria Theresia: Fanny Krausz
Franz Stephan: Julian Loidl
Diego Aguilar: Florian Carove
Salomon Wertheimer: Florian Feik
Count von Loß: Sebastian Thiers
Ignaz Kampmüller: Paul Matic
Wolf Wertheimer: Michael Masula
Salomon Koreff: Roman Blumaier
Simon Fränkel: Jan Kolařík
Filip Kolovrat: Pavel Batěk
Heyla Kirschner: Simona Zmrzlá
Joseph Kirschner: Daniel Margolius
Komorník: Kamil Švejda
Dokumentation
45 Min. / 52 Min.
Regie: Monika Czernin
Regie Spielszenen: Fritz Kalteis
Drehbuch: Monika Czernin, Heinrich Mayer-Moroni
Produzenten: Jakob Pochlatko, Dieter Pochlatko
Herstellungsleitung: Heinrich Mayer-Moroni
Produktionsleitung: Franziska Kiefmann, Jan Rolinek
Kamera: Oliver Indra, Jeannine Felzmann
Ton: Jiří Hruban
Musik: Martin Payr
Schnitt: Tanja Lesowsky, Sonja Lesowsky-List
Kostümbild: Katarina Chvalová
Maskenbild: Eva Ungrová, Klaudie Havlová
Sprecherin:Dörte Lyssewsky
Redaktion ORF: Judith Brandner
Redaktion BR: Christian Lappe
Redaktion BR/ARTE: Monika Lobkowicz
Redaktion ČT: Markéta Štinglová
u.a.
Produktionsjahr: 2023
Erstausstrahlung: 31. Oktober 2023
Koproduktion von EPO-Film, Czech TV, ORF, BR
in Zusammenarbeit mit ARTE, ORF-Enterprise
gefördert von FERNSEHFONDS AUSTRIA, Filmfonds Wien
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